Isabel Kirschner

Düsseldorf

Blankenheim / Eifel

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Eigener Schatten

 

Das warme Spülwasser spritzt hoch, als der Teller aus Noras Hand rutscht.

Na prima, dies scheint nicht nur ihr langsamster, sondern auch noch ihr schusseligster Abwasch zu werden. Hätte sie doch besser die Spülmaschine benutzt. Die drei Teller hat sie gedacht, sind schnell von Hand gespült. Außerdem hofft sie, dass die Arbeit sie von ihren Gedanken ablenkt. Wenn ihr Vater sie jetzt sehen könnte. Nicht nur sein spöttisches Lächeln erscheint vor ihren Augen. Sie kann sogar seine Worte hören: "Na, Frauenarbeit ist wohl nicht deine Stärke. Eine Designerküche macht noch lange keine Ausfrau aus dir." Und als Nachsatz: "Deiner Familie würde es auch gut tun, wenn du öfters zu Hause wärst.

Sie hat es so satt, dass er ihre Lebensweise ständig in Frage stellt. Doch noch mehr regt es sie auf, dass sie sich mit 35 Jahren davon noch beeinflussen lässt.

Natürlich kann sie spülen, auch wenn Frank normalerweise dies erledigt. Sicher liegt es daran, dass ihre Gedanken immer noch ums Kopftuch kreisen.

Vorsichtig fischt sie im Spülwasser nach dem Teller. Zum Glück ist er heil geblieben. Sie stellt ihn zum Trocknen auf die Abtropffläche. Mit beiden Händen stützt sie sich auf der Fläche ab. Ihre Gedanken kreisen, alles in ihr ist in Aufruhr. Alles ist in Frage gestellt, ihre Werte, ihr Selbstverständnis als Frau.

Sie möchte die Andersartigkeit so gern verstehen und als gleichwertig sehen. Und doch fühlt sie sich angegriffen, abgewertet. Und das, obwohl sie ihr Leben als berufstätige Mutter liebt. Eine harmlose Bemerkung, die ihr Leben in Frage zu stellen scheint. Ihre Gedanken wandern zurück in die Wohngruppe. 

Um die Mittagszeit kamen die vier in die Gruppe. Ihre Rucksäcke brachten sie in ihre Zimmer, bevor sie sie mit Handschlag begrüßten. Zum Glück gibt es die Mensa mit ihrem reichen Angebot, so dass sie bereits gesättigt waren. Das Kochen am Wochenende ist anstrengend genug und liegt völlig in der Verantwortung der Jugendlichen.

Ali, aus Afghanistan, verschwand direkt in der Küche und stellte Wasser für den Tee auf. Mohamed, aus Syrien folgte ihm, um die Tassen zu spülen.

In der Zwischenzeit wischte Jonas aus Eritrea den Lappen mit einem Küchentuch sauber.

Vorsichtig balancierte Mohamad das Tablett mit den Tassen und der Zuckerdose ins Wohnzimmer und stellt es auf der Mitte des Tisches ab. Die Kanne mit Tee stellt Ali daneben. Nora und Yussuf warten bereits am Tisch. Als alle Platz genommen hatten,

greift er die Kanne mit Tee und schenkt reihum ein. Nora bedient er als erste.

"Wieviel Zucker möchtest du?", fragt Yussuf sie.

"Einen Löffel." Yussuf nimmt den einzigen Teelöffel und gibt einen Löffel mit Zucker in ihren Tee. Erneut füllt er den Löffel und hält ihn über ihr Tasse, dabei grinst er sie an. "Sicher, nicht mehr?" Ebenfalls grinsend schiebt sie den Löffel zur Seite.

Nachdem er in die Tassen der Jungen jeweils drei Löffel Zucker geschaufelt hat, dieses mal ohne jemanden zu fragen, nimmt andächtig den Löffel und rührt reihum um. Wieder fängt er bei Nora an. Sie ist die Älteste und den Ältesten wird in ihren Herkunftsländern der größte Respekt entgegen gebracht.

Nora kennt die Jungen, seit sie vor elf Monaten nach Deutschland gekommen sind. Mit viel Disziplin und Fleiß haben die Jungen Deutsch über das Handy gelernt. Keine Schule hätte so schnell die Sprache vermitteln können. In dem Youtube Sprachprogramm werden die Grammatik und die Redewendungen in der Muttersprache erklärt.

Ihre mittäglichen Diskussionen über Werte und Tugenden gewinnt immer mehr an Tiefe. Fehlende Worte werden im Internet gesucht und übersetzt.

Angestrengt blickt Yussuf auf sein Handy. Mal wieder ist er im Gespräch an seine Grenzen gekommen. Nora hat ihnen berichtet, dass sie auf der Herfahrt zwei Männer sah, beide in einen typisch muslimischen Kaftan gekleidet. Sicher waren sie auf dem Weg zur Moschee.

Spontan lächelte Nora ihnen zu und bekam ein ebenso freundliches Lächeln zurück. Daraufhin will Yussuf ihr etwas erzählen, doch ihm fehlen die passenden deutschen Worte. Auf einmal überzieht ein Strahlen sein Gesicht. Die Suche ist erfolgreich gewesen. Er rückt näher zu ihr und zeigt ihr sein Handy. Ein muslimisch gekleidetes Mädchen ist dort zu sehen. Arme und Beine sind von der Kleidung bedeckt. Kein einziges Haar lugt aus dem streng gebundenen Kopftuch hervor.

Wenigstens keine Burka, schießt es Nora durch den Kopf.

Yussuf zeigt mit dem Daumen nach oben. Offensichtlich gefällt ihm diese Kleidung bei Mädchen oder frauen besonders gut.

Seitdem trägt Nora dieses Gefühl mit sich herum. Anfangs nur als kleines Grummeln ist es im Laufe des Gespräches größer geworden.

"Diese Kleidung gefällt dir?", hilft sie ihm, seine Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

"Hier in Deutschland ist das anders", ergänzt sie. Als ob er das nicht längst wüsste, immerhin ist er seit elf Monaten in Deutschland.

"Frau ist Frau und Mann ist Mann", antwortet er. "Deutsche Frauen sind wie Männer. Sie rauchen, trinken. Aber Frau ist Frau und Mann ist Mann."

Wie ein Angriff trifft sie dies. Mit einfachen Worten versucht sie, seine Einstellung gegenüber deutschen Frauen zu hinterfragen. "Und deutsche Frauen findest du doof?"

Energisch schüttelt er den Kopf. "Nein, deutsche Frauen sind sehr freundlich."

"Aber heiraten würdest du nur eine Frau mit Kopftuch?" Sie kann dasw Nachbohren nicht lassen.

Wieder ist ein energisches Kopfschütteln die Antwort. "Nein, ich heirate eine Frau, die ich liebe und mit der ich mich verstehe."

"Aha, und die muss dann richtig Frau sein und zuhause bleiben?"

"Wenn sie will", ist seine Antwort. "Das besprechen wir und dann teilen wir die Aufgaben."

"Und das Kopftuch ist Pflicht?"

Yussuf schüttelt den Kopf und sagt: "Wenn sie will." Erneut zeigt er auf das Foto im Handy. "Deutsche gut, ich finde - das schöner."

 

Der letzte Teller ist gespült. Nora nimmt sich ein Glas mit Wasser und geht nachdenklich ins Wohnzimmer. Ihre zwei Kinder schlafen und ihr Mann ist auf Geschäftsreise. Herrlich, diese Ruhe. Als Sozialpädagogin ist es immer lebendig um sie herum. Umso mehr genießt sie diese Ruhe jetzt. Endlich Zeit für eine Meditation. Jede ruhige Minute nutzt sie dafür. Nie hätte sie sich früher vorgestellt, wie sehr die Meditation sie verändert. Kleine Veränderungen, die sich in ihr Leben geschlichen haben. Das abendliche Glas Wein, das auf einmal nicht mehr wichtig war.

Schmuck, den sie nunmehr gezielter und sparsamer trägt. Mit geradem Rücken nimmt sie auf ihrem Meditationskissen Platz. Immer noch grummelt dieses Gefühl in ihrem Bauch. Noch immer nicht greifbar. Sie möchte diesem Gefühl auf die Schliche kommen. Es ist kein unbekanntes Gefühl. Es erscheint immer dann, wenn sie muslimisch traditionell gekleidete Frauen sieht. Dann kommt genau dieses Gefühl. Automatisch richtet sie dann ihren Rücken auf und geht, den Blick starr nach vorne gerichtet an ihnen vorbei.

Das Kopftuch, ein Sinnbild der Unterdrückung?!

Und doch mit wieviel Selbstvertrauen und Schönheit tragen diese Frauen ihr Kopftuch und ihre Kleidung. Aufrecht und stolz gehen diese Frauen durch die Straßen. Auch sie aufrecht und mit nach vorne gerichtetem Blick.

Die Worte von Yussuf kommen ihr in den Sinn. Er erklärte ihr, dass die Kleidung für die Frauen ein Zeichen des Glaubens seien.

Wieso fühlt sie ihr Leben dadurch in Frage gestellt, ihr Selbstverständnis als Frau?

Die beiden muslimisch gekleideten Männer kommen ihr in den Sinn. Ohne Bewertung akzeptierte sie deren Kleidung. Eigenschaften wie interessant und mutig kamen ihr in den Sinn.

Und bei Frauen? Wieso zeigt sie nicht auch ihnen ihre Wertschätzung und Akzeptanz? Wieso fühlt sie sich in Frage gestellt?

Ruhig atmet sie, lässt ihre Gedanken fließen.

Das Bild ihres Vaters erscheint vor ihrem inneren Auge und mit ihm das Wort ´Mannweib´, wie er emanzipierte Frauen nannte. Tränen laufen über ihr Gesicht. Bis heute wartet sie darauf, dass er sie als gleichwertige berufstätige Frau sieht und nicht nur als Mutter seiner Enkel.